Die wenigsten Männer stehen heutzutage in engem Kontakt zu sich selbst, sagt Männercoach und Thai Yoga Praktiker Steffen Seiwerth. Das wiederum habe viel mit Glaubenssätzen zu tun, die wir während unserer Kindheit und Jugend verinnerlichen. Wie lassen sich solche Glaubenssätze aufdecken? Wie können wir die Erkenntnisse hieraus für unser persönliches Wachstum nutzen? Und was macht das mit unseren Beziehungen? Mehr hierzu im Interview.

Steffen, was sind deiner Ansicht nach die Gründe dafür, dass wir Männer den Kontakt zu uns selbst verlieren? Und welche Rolle spielen dabei Glaubenssätze?

Die Gründe für den mangelnden Kontakt zu sich selbst sind vielfältig. Generell ist es so, dass Männer eher kopflastig veranlagt sind, während Frauen tendenziell stärker im Herz leben. Ich pauschalisiere hier bewusst und es ist wichtig, jeden Einzelfall ganz individuell zu betrachten. Aber wenn wir bei dieser Grundannahme bleiben, können wir feststellen, dass wir Männer die Tausenden von Jahren Patriarchat nicht dazu genutzt haben, uns den weiblichen Qualitäten zu nähern, sondern sehr viel dazu getan haben, um noch weiter im Kopf zu bleiben.

Betrachten wir die heutige Welt, stellen wir fest, dass sie wirklich alles bietet, damit wir uns nicht mit uns selbst beschäftigen müssen. Genaugenommen baut die Konsumwelt sogar darauf, dass wir unser Glück im Außen, in materiellen Dingen wie dem Auto, Haus etc. suchen. So sitzen viele Männer von morgens bis abends am Laptop, checken zwischendurch ihr Smartphone, spielen Videospiele und schauen Netflix. Sie trennen sich von ihrem Körper, von ihrem Herz und letztendlich von ihrem Selbst.

Die große Anzahl von Burnouts in den letzten Jahren ist nicht verwunderlich. Wie soll ein Mann die Warnsignale fühlen, wenn er nie gelernt hat, mit seinen Gefühlen vertraut zu sein? Das permanente „im Kopf sein“ entfremdet uns von unserem Selbst. Den womöglich größten Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben jedoch die primären Bezugspersonen im Leben, in der Regel also Mutter und Vater. Bereits mit der Geburt beginnt ein Weg der gut gemeinten Konditionierung der Kinder, oder in diesem Fall der Jungen. Ihre Entwicklung hängt also zum einen von den Glaubenssätzen, Überzeugungen und Verhaltensweisen der Eltern ab – und von der „Überlebensstrategie“, welche die Jungs für sich entwickeln.

Mann Muskeln

Weitere Einflüsse kommen von Lehrern, nahe Verwandten, Freunden bis hin zur Werbung, den Medien etc. Aus diesen Einflüssen entsteht das Selbstbild, bzw. das Männerbild mit all seinen Verzerrungen. Es ist also ein Bild von außen und nicht das, was der Junge bzw. der Mann selbst tatsächlich aus sich heraus lebt. Er verstellt sich und steht somit oftmals mit seinem wirklichen Selbst nicht in Kontakt.

Die Glaubenssätze, welche wir bereits in frühen Jahren in uns etablieren, benötigen wir, weil sie Teil unserer Überlebensstrategie sind. Sie spielen also eine entscheidende Rolle und begleiten uns weit in unser Erwachsenenleben hinein.  Ein weiterer und extrem wichtiger Aspekt (vielleicht sogar der wichtigste) ist, dass es sehr vielen Männern in der heutigen Zeit nicht gelungen ist, sich von der Mutter zu lösen. Sie bleiben ihr Leben lang bedürftig nach „mütterlicher Liebe“.

Diese Bedürftigkeit macht sie oft zu sehr einfühlsamen Männern (Frauenverstehern). Allerdings geht auch diese nach außen gerichtete Empathie zu Lasten der Selbstkenntnis und des Kontaktes zu sich selbst. Diese Männer sind in der Regel sehr bedürftig und unselbständig.

Keine Gefühle zeigen

Kannst du ein paar Beispiele solcher Glaubenssätze nennen, mit denen Männer oft aufwachsen?

Wie zuvor bereits beschrieben hängen die Glaubenssätze sehr stark mit der Überlebensstrategie der jungen Männer zusammen. In meinen Coachings begegnen mir sehr häufig Männer mit Glaubenssätzen wie:

  • „Ich bin nicht gut genug.“
  • „Ich bin nicht liebenswert.“
  • „Ich darf keine Fehler machen.“
  • „Ich gehöre nirgendwo dazu.“

Das geht bis hin zu männerspezifischen Glaubenssätzen wie

  • „Ich darf keine Gefühle zeigen.“
  • „Ich darf nicht weinen.“
  • „Ich muss stark sein.“

Wie wirken sich diese Glaubenssätze auf uns aus, , welche Folgen für unser tägliches Handeln haben sie?

Glaubensätze bestimmen immer unser tägliches Handeln. Daran gibt es auch nichts auszusetzen. Es ist nur wichtig, dass wir im Leben unsere eigenen Glaubenssätze kennen. So kann sich ein Glaubenssatz wie „Ich darf keine Gefühle zeigen“ ganz dramatisch auf das Erwachsenenleben auswirken. Im schlimmsten Fall trennt sich ein Mann von seinen Gefühlen, wirkt nach außen emotionslos und ist sich selbst fremd.

Wie können Menschen generell herausfinden, welche Glaubenssätze sie verinnerlicht haben? Denn sich dessen bewusst zu werden ist wahrscheinlich der erste Schritt zur Befreiung?

Genau das ist der Punkt. Die Bewusstwerdung ist der erste Schritt. In meinen Coachings ist das Entdecken der Glaubenssätze ein wichtiger Bestandteil der Gespräche. Jeder Mensch kommt in seinem Leben an Themen heran, die ihm zu schaffen machen. Muster, bei denen ihm sein eigenes Verhalten immer wieder im Weg steht. Wer seine Glaubenssätze entdecken möchte, muss sich nur die richtigen Fragen stellen, zum Beispiel:

  • Wie habe ich in dieser bestimmten Situation reagiert?
  • Warum habe ich auf diese Weise reagiert?
  • Was hat mich getriggert?
  • Was war der Gedanke oder das Gefühl hinter der Reaktion?

Die Fragen sollten immer tiefer führen bis hin zu dem Punkt, wo sich der Glaubenssatz herauskristallisiert. Da dies alleine nicht immer ganz einfach ist, würde ich an dieser Stelle einen Coach als Unterstützung empfehlen, zumindest aber einen bewussten und achtsamen Gesprächspartner. 

Ein weiterer Weg kann sein, die Glaubenssätze von deinen Eltern zu ergründen. Sie beeinflussen uns maßgeblich und oftmals übernehmen wir diese – auch wenn wir eigentlich ganz anders als unsere Eltern sein wollen.

Glaubenssätze in Beziehungen

Gibt es auch Glaubenssätze, die Beziehungen verhindern oder deutlich erschweren?

Jede Beziehung kommt früher oder später an den Punkt, wo Paare mit ihren Themen und Glaubenssätzen in Berührung kommen. Sind beide Partner bereit, sich mit ihren Schatten zu beschäftigen und sich ihren Glaubenssätzen zu stellen, dann hat jede Beziehung das Potenzial für persönliches Wachstum und Entfaltung.

Es ist also weniger der Glaubenssatz an sich, sondern eher der mangelnde Wille an der Bearbeitung der Glaubensätze. Oder einfach nur die Unkenntnis darüber, dass Beziehungen an Glaubensätzen scheitern.

Wie kann man als Paar damit umgehen, sowohl die betroffene Person selbst als auch deren Partner*in?

Es ist ein Irrglaube, dass nur ein Partner von einem Glaubenssatz betroffen ist. In der Regel finden sich Paare genau so, dass sie sich früher oder später an ihren Themen reiben. Für Paare gibt es unendlich viele Möglichkeiten, um an Glaubenssätzen zu arbeiten. Das kann über Coachings, Therapien bis zum gemeinsamen Besuch eines Tantra Seminars reichen.

Paar Kuss

Bewusste Paar sind durchaus auch selbst in der Lage, sich mit den Glaubenssätzen auseinanderzusetzen. Das Problem an der Stelle ist oft, dass sich Männer der Aufarbeitung entziehen. Viele Frauen sind uns genau an dieser Stelle um einiges voraus. Überall da, wo es um Persönlichkeitsentwicklung geht (etwa bei Coaching- oder Yogalehrerausbildungen) ist der Frauenanteil meist deutlich höher. Hier ist der Wunsch der Frauen nach Entwicklung bzw. Entfaltung deutlich höher als bei den Männern.

Die meisten Männer, die mir begegnen, halten lieber aus, statt sich mit ihren Themen zu beschäftigen. Es ist kein Zufall, dass die meisten meiner männlichen Klienten von ihren Frauen geschickt werden.

Was kann man tun, um die Dynamik Glaubenssatz -> ausgelöste Emotionen bzw. unbewusstes Handeln/Nicht-Handeln zu durchbrechen?

Es geht immer wieder um die Bewusstwerdung der unbewussten Handlung. Stell dir Fragen – Wo triggert mich etwas? Wo laufe ich immer wieder gegen eine Wand? Oder schau, ob es in deinem Leben Muster gibt, die dir im Weg stehen.

Ein Beispiel: Ein Mann, der immer wieder von seinen Partnerinnen verlassen wird, könnte den Glaubenssatz „ich bin nicht liebenswert“ in sich tragen. Hast du ein Muster entdeckt, bleib dran, ergründe es – nimm Hilfe von außen in Anspruch (wieder etwas, was den Männern sehr schwerfällt).

Arbeit mit Männern

Ich stelle oft fest, dass sich Männer in reinen Männer-Runden oder -Seminaren deutlich unverstellter zeigen, weil sie sich hier weniger beweisen müssen. Wie können wir im Alltag dafür sorgen, die Masken abzulegen?

Die Feststellung kann ich nur bestätigen. Seminare, Männerkreise bieten uns Räume, in denen wir unserem wahren Selbst nahekommen dürfen und es sogar nach außen tragen können. Wir alle dürfen lernen, dass dies der natürliche Zustand ist und dass wir im Alltag, wie du schreibst, nur Masken tragen.

Es gilt also den natürlichen Zustand immer wieder zu üben, bis wir nicht mehr zwischen unserem wahren Selbst und dem Alltagsleben unterscheiden. Beides ist gleich und wir brauchen niemals eine Maske zu tragen. Also kann die Botschaft nur sein, sich Gleichgesinnte und Weggefährten zu suchen, egal ob in Männerseminaren oder Männerkreisen.

Wie arbeitest du in deinen Coachings mit Männern, die Glaubenssätze verinnerlicht haben oder stark unsicher bzw. bedürftig sind? Welche Methoden eignen sich hierbei?

Auch hier gilt wieder in erster Linie die Bewusstseinsmachung. Wie ich danach vorgehe, ist sehr unterschiedlich und individuell. Manchmal reicht ein Reframing des Glaubenssatzes. Es kann auch sein, dass wir den Glaubenssatz entkräften und einen neuen Glaubenssatz erarbeiten, den wir dann bestätigen und mit Leben erfüllen.

Bedürftige Männer dürfen sich in erster Linie selbst kennenlernen. Da sie ihr Leben lang ihr Glück im Außen gesucht haben, gilt hier erst einmal, sich selbst zu entdecken. Das kann eine sehr spannende und auch erfüllte Reise für die Männer sein, wenn sie sich darauf einlassen.

Grundsätzlich empfehle ich jedem Mann, sich einem Männerkreis anzuschließen, einen Männerretreat zu besuchen, oder einfach nur Zeit mit anderen Männern zu verbringen. Im besten Fall haben wir einen männlichen Freund oder Mentor, dem wir uns offenbaren können. Also wirklich das aussprechen können, was wir denken, fühlen und spüren. Wir können nicht von den Frauen erwarten, dass sie unsere Männlichkeit heilen.

Lieben Dank an Steffen für dieses Interview. Mehr zu seiner Männerarbeit findest du auf seiner Webseite. Du hast Fragen an Steffen oder zum Thema? Dann nutze gerne die Kommentarfunktion am Ende dieser Seite.

Bilder: Christopher Burns, Gary Meulemans, Nadine Rupprecht

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