Männer haben es nicht einfach: Im Gehirn ist noch der Held und Weltenretter verankert, doch die moderne Gesellschaft verlangt zunehmend nach achtsameren Disziplinen. Den Staubsauger schwingen, aber gleichzeitig ja nicht zu weichgespült daherkommen? Was darf es denn nun sein? Eine kleine Bestandsaufnahme.

Der Mann von heute pendelt zwischen Feminismus und Machismo. Er sollte die gesamte Klaviatur beherrschen, sich jederzeit souverän zwischen den Welten bewegen. Und intuitiv wissen, wann gerade welche Disziplin gefragt ist: Gentlemen, #MeToo-konform, Alphatier, bester Kumpel, Sex-Gott, treuer Beschützer, Frauenversteher, unabhängiger Krieger, junger Liebhaber, reifer Begleiter, Literat, Sportskanone, kuschel-Freund, familienkompatibel, Rocker, Ernährer, Vater, Vorbild. In all dem Widerspruch muss Mann sich vor allem auch noch klar sein. Gerade seinen Weg gehend.

Neue Werte, alter Instinkt

Hinzu kommt: Was Frau nach außen als Werte für Männlichkeit und Gleichberechtigung vertritt, dass muss noch längst nicht mit dem übereinstimmen, was ihre Instinkte sagen. Wer blickt da noch durch? Nicht selten herrscht Verunsicherung bei den Männern. Was soll ich leisten, was darf ich überhaupt noch?

Wichtig: Es geht mir keineswegs um Mitleid mit den „armen Männern“. Und mir ist bewusst, dass Frauen vor dem gleichen Dilemma stehen – wir Männer wollen die Heilige und die Hure in einer Person. Doch wenn man weiß, in welchem Spagat sich ein Mann gefangen sieht, dann wird so manche Reaktion schlüssiger. Auch jene, die auf den ersten Blick unlogisch und impulsiv erscheint.

„Wer rettet den Helden?“ fragten sich jüngst Rebekka Reinhard und Thomas Vašek in einem Beitrag für die Zeit. Darin überlegen sie, wie das männliche Idealbild zwischen Überlebenskampf und Kreißsaal aussehen könnte.

Alle Männer wollen Helden sein – denn Männlichkeit „ist“ nicht. Sie muss durch bestimmte Akte, Mutproben, Prüfungen, Grenzerfahrungen immer neu verifiziert werden.

schreiben sie darin. Und weiter:

Die moderne Frau möchte einen leistungsstarken, souveränen, gut verdienenden Mann, den sie nicht lange bitten muss. Bevor er den Augiasstall ausmistet, soll er gefälligst den Müll runtertragen.

Können wir Männer das leisten? Zwischen Super- und Pantoffelheld switchen? Und vor allem: Wollen wir es überhaupt? Sind wir dabei authentisch? Fragen über Fragen. Und kaum Antworten dazu, schon gar keine Leitlinien.

Die Sache mit der Gleichberechtigung

Mit der Gleichberechtigung ist es noch nicht allzu weit gediehen – und zwar auf beiden Seiten. Trotzdem haben die meisten Männer hier noch Nachholbedarf. Im Alltag ist das gar nicht so einfach. Denn achtsames Verhalten auf Augenhöhe wird von Frau nicht immer belohnt. Oft genug gewinnt der vermeintlich stärkere Mann, oder das A******** in uns – und andere schauen sich diese Strategien ab.

Hier einige meiner Beobachtungen. Sie zeigen, wie komplex das Spiel zwischen Mann und Frau nach wie vor ist. Denn was ich in einem tantrischen Jahrestraining spielerisch trainierte (in diesem Beitrag beschrieben), das probiere ich im echten Leben ab und an immer noch aus:

  • Wenn ich klischeehaft männlich agiere, dann erfahre ich teilweise deutlich mehr Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht.
  • Das gilt vor allem dann, wenn ich mich wenig rücksichtsvoll verhalte, mein „Ding“ durchziehe, besonders stark wirke, klar bestimme oder Frauen scheinbar links liegen lasse. Und das wirkt nicht nur bei einem bestimmten Typus „Frau“.
  • Ebenso ist die weibliche Welt interessierter an mir, wenn ich mit meiner Partnerin unterwegs bin. Oder auch mit meiner kleinen Tochter. Das mag evolutionstechnisch schlau sein. Charmant, gleichberechtigt und fair anderen Frauen gegenüber ist es nicht.

Sprich: Wenn ich achtsam bin, dann habe ich weniger Chancen bei den Frauen. Das ist paradox und traurig, aber wahr. Mit Mister Nice Guy hält man gerne einen Plausch. Man wälzt intime Probleme mit ihm, aber nicht mehr. Zum Zug kommen andere. Wie oft habe ich von Frauen gehört: „Du bist so nett!“. Gemeint war meist: „Du bist zu nett!“. Denn die notwendige Spannung erzeugt das kaum.

Auch die Psychologie und Soziologie kennen die zuvor beschriebenen Phänomene. Gleichberechtigung hat es schwer, solange diese archaischen Muster wirken und belohnt werden. Es ist reine Trainingssache: Wenn Mann sich aufplustert, und damit durchkommt, dann wird er es wieder tun. Ich spreche hier nicht von plumper und aggressiver Anmache – die Spielchen sind meist subtiler Natur. Und beide Seiten durchschauen sie nur selten.

Theoretische und gelebte Männlichkeit

Es gibt also eine Divergenz zwischen theoretischer und gelebter moderner Männlichkeit. Man könnte auch sagen: Der Kopf will bisweilen etwas anderes als das Herz als die Region unter der Gürtellinie. Und ich meine damit durchaus beide Geschlechter. Nach unserem Ideal wären wir alle gerne aufgeklärt, unvoreingenommen und unverstellt. Aber wir sind es nur selten.

Männer wollen ganz oft einfach nur Eines: Wir möchten gesehen werden – da steht die Männerwelt den Frauen in nichts nach. Doch wir setzen meist auf andere Methoden, um dieses „gesehen werden“ zu erreichen. Wird Mann nicht oder zu wenig beachtet, dann folgt schnell die Bedürftigkeits-Falle. Und damit genau das Gegenteil von aufgeklärter Selbstbestimmung. Siehe meinen Beitrag Männer und Bedürftigkeit.

So vielfältig, wie Männer und Frauen sind, so vielfältig dürften auch die Meinungen zum Thema „Mann-Sein“ ausfallen. Ganz abgesehen davon, dass es noch weit mehr Schattierungen, Sexualitäten, Geschlechter-Wahrnehmungen und Identitäten gibt. Wie ist deine Sicht, egal ob nun als Mann, Frau oder Divers? Was ist für dich männlich? Gibt es das überhaupt? Und wie gehst du mit dem Spagat zwischen Anforderung und Wirklichkeit um?

Was denkst du darüber? Welche Fragen hast du? Nutze einfach die Kommentarfunktion am Ende des Beitrags – auch anonym.

Bilder: Mitchell Griest, Jose Antonio Gallego Vázquez, Nathon Oski

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5 Kommentare

  1. Sehr spannendes Thema! Ich würde mal behaupten, dass jeder in diesem Dilemma steckt. Das würde ich gar nicht an Mann oder Frau festmachen wollen. Gleichgeschlechtliche Beziehungen haben doch die gleichen Kämpfe auszufechten. Auch da wünscht man sich doch einen Partner, der sowohl mal der starke, selbstbewusste Macher ist und zeitgleich auch Schwäche zeigen darf und soll. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, mit welcher Mischung ich mir selbst am treuesten bin und mich am wenigsten verstellen oder anpassen muss. Ich möchte keiner Rolle entsprechen sondern mir selbst. Das ist für mich die größte Herausforderung und schwieriger als man denkt.

    1. Du hast vollkommen Recht. Es ist ein Thema, das uns alle beschäftigen dürfte. Ganz unabhängig davon, welchem Geschlecht wir uns zuordnen würden. Oder auch unabhängig davon, ob wir überhaupt in diesen Kategorien denken.

      Selbst oder gerade wenn man viel Persönlichkeitsentwicklung in Seminaren, Coachings etc. macht, dann entdeckt man, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen wir eine Rolle spielen. Anderen gerecht werden wollen. Oder uns verstellen, um besser dazustehen. Aber wie heißt es so schön: Erkenntnis ist der erste Schritt 😉

  2. Ich erlebe in den Begegnungen – insbesondere bei meiner therapeutischen Arbeit – mit Männern, Frauen und Paaren immer wieder, dass es um die Sehnsucht nach einer Verbindung des biologischen Geschlechtes, unserer Natur – und damit auch um geschlechtsspezifische archaische Prinzipien – mit dem individuellen seelisch-emotionalen Ausdruck des einzelnen geht. Das eine wie das andere wünscht Klarheit.

    Sind beide Seiten einer Begegnung im Kontakt mit beidem, gelingt immer eine intime, berührende und dynamische Qualität. Die Kommunikation, der Ausdruck dessen, was sich dann zwischenmenschlich bewegen kann, gibt alle Antworten auf deine/die gestellten Fragen. Und es ist die Königsdisziplin, sich in dieser Atmosphäre mit Offenheit zu begegnen.

    1. Liebe Alma,

      Danke für diesen Einblick in deine Arbeit. Diese Widersprüche in uns selbst, die du beschreibst, sind höchst spannend. Vielleicht sollten wir sie einfach nur annehmen. Stets beide Seiten zulassen und beleuchten. Um dann zu entscheiden.

      In diesem Fall braucht unser Gegenüber jedoch viel Geduld – und auch wir selbst. Eine Diskussion ist dann eben nicht so schnell ausgefochten, das letzte Wort nicht so abschließend gesprochen. Es ist um einiges anstrengender, verschiedene Facetten zuzulassen – für alle Beteiligten. In unser schnellebiges Social Media Zeitalter, in dem oft schnell aneinander vorbei getextet wird, und stets sofort eine passende und politisch korrekte Antwort erwartet wird, scheint das nur schwer zu passen.

      „Sind beide Seiten einer Begegnung im Kontakt mit beidem, gelingt immer eine intime, berührende und dynamische Qualität.“ – wunderbar. Besser kann man es nicht ausdrücken. Es ist die Mühe wert.

  3. Lieber Michael,
    in der Klarheit, die durch meine Öffnung im Kontakt möglich ist, wird das Zwischenmenschliche aus meiner Erfahrung niemals anstrengend, es wird immer einfach, weil der Mensch im Grunde einfach ist. Erst der Widerstand, die Angst, vor der Öffnung macht jeden Kontakt zäh und mühevoll. Und Geduld benötigt nur der Ungeduldige; und Ungeduld ist ebenfalls ein Aspekt von Angst und Ausdruck von der Abwesenheit von Vertrauen.
    Somit lohnt es sich immer, die Öffnung zu wagen und sich mit allem zu zeigen.❤️

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