Teile der Politik wollen in diesen Tagen auf Väter zugehen, die sich nach einer Trennung weiterhin um ihre Kinder kümmern. Gleichzeitig lese ich wütende Kommentare von Frauen, denen diese Initiative zu weit geht. Als Vater, der zeitweise darum kämpfen musste, seine Tochter weiterhin sehen zu dürfen, habe ich meine ganz eigene Meinung zu dem Thema. Und doch sehe ich, dass es hier kein Unrecht und kein Recht gibt. Jede noch so verschiedene Meinung hat einen Kern, der verständlich ist. Selbst jene, die meiner persönlichen Erfahrung diametral entgegenstehen.

Wie kommt es, dass Mann und Frau so oft aneinander vorbeireden? Und das, obwohl beide Seiten „Recht“ haben? Selbst in tantrischen Kreisen begegnet mir dieser Kampf, wie jüngst erst bei einem Seminar. Schnell sind wir bei der Kategorisierung Freund und Feind, oder gar Täter und Opfer. Es entstehen Grüppchen, Frauen und Männer solidarisieren sich. Innerhalb der Gruppen macht sich Zwietracht breit, weil einzelne Frauen Verständnis für die Männer zeigen und umgekehrt. Irgendwann ist die Situation so verfahren, dass das Gesprochene nicht mehr gehört oder verstanden wird und noch mehr entzweit. Gegenseitige Achtsamkeit ist dann auf dem Rückzug.

Zu viel Harmonie?

„Wie soll ein gleichberechtigtes Miteinander zwischen Mann und Frau funktionieren, wenn es nicht einmal auf einem solchen Seminar gelingt?“ – Das war kurz mein Gedanke. Die Harmonie, die dort normalerweise vorherrscht, kann auch übertünchen, dass wir im Alltag oft deutlich rauher miteinander umgehen. Der Ausbruch des Konflikts passierte also genau zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort. Wir konnten die Prinzipien, die wir in der tantrischen Arbeit stets vor uns hertragen, gleich auf den Prüfstand stellen.

Und das passierte auch, zumindest teilweise. Denn in genau dem gleichen Seminar erlebte ich: Wenn wir uns berühren, können wir nicht aneinander vorbei kommunizieren. Dann passieren wunderbare Dinge. Auch zwischen Menschen, bei denen zuvor keine Verbindung zu existieren schien.

Vom Vorurteil zum Miteinander

Manchmal spüre ich im Vorfeld einer Massage Vorurteile, die sich währenddessen völlig auflösen. Der Blick auf mein Gegenüber ist hinterher nicht selten ein völlig anderer. Vielleicht liegt es daran, dass sich beide Seiten vollkommen ungeschützt und verletzlich zeigen. Abseits der Panzerung, die wir alle mit uns herumschleppen und stetig neu aufbauen, ist noch ein gegenseitiger Zugang möglich.

Natürlich ist es nicht ganz so einfach. Auch wenn manche Parteien aufeinander zugehen, ist da immer noch Verletzung spürbar. Der jahrtausendealte Kampf zwischen den Geschlechtern – und zwischen den Menschen an sich – lässt sich nicht durch einzelne Berührungen beenden. Dennoch flammt in solchen Momenten der Intimität Hoffnung auf. Einander zu misstrauen und anzufeinden, das haben wir in der Geschichte zur Genüge gelernt. In der Begegnung durch Berührung erfahren wir neues Vertrauen, auf beiden Seiten. Laut tantrischer Philosophie wirkt diese Erfahrung über die einzelne Begegnung hinaus. Sie heilt demnach die Wunden, die wir uns täglich an ganz anderer Stelle und in ganz anderen Konstellationen zufügen. Ein schöner Gedanke.

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Bilder: Nathan Walker, Crabtree @Unsplash

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2 Kommentare

  1. Lieber Michael,
    wie wunderbar, ja, genauso durfte ich es auch erleben – heilsam, befreien und berührbar – das ist, wie achtsame Berührung wirkt. Im tantrischen allumfassend und im Kleinen erlebe ich diese Wahrheit auch immer wieder im Kontakt mit meinen Klienten. Wenn meine Klienten im tiefen empfundenen, wieder aufflammenden alten Schmerz doch die lang vermisste „Hand meiner Mutter“ auf der Wange spüren und ich diese Leerstelle für den Moment erlebbar machen darf. Ich liebe meine nahe Arbeit und bin glücklich, sie um die tantrische Welt erweitern zu dürfen. Und dankbar, dass du so ehrlich und offen darüber schreibst. Was für ein Geschenk!

    1. Liebe Alma,
      diesen Moment kenne ich sehr gut, wenn ich selbst empfangen darf. Das kann die Mutter sein, der Vater, das Kind, eine sonstige nahestehende Person.. Es ist eine große Freude und auch Ehre, diese „Arbeit“ beim Geben tun zu dürfen. Das Vertrauen, das mir von Seiten der Empfangenden entgegen gebracht wird, die mich zuvor meist nicht kennen, überrascht und erfreut mich immer wieder. Danke für dein Feedback!

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