Du hast Schwierigkeiten damit, dich berühren zu lassen? Oder diese Berührungen in vollem Umfang zu genießen? Damit bist du keineswegs alleine. Doch es gibt Möglichkeiten, wie du mehr Kontakt annehmen kannst – um ihn gleichzeitig bewusster wahrzunehmen. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

Viele Männer und Frauen wissen gar nicht, dass sie ein Problem mit Berührungen haben. Und diese Unsicherheit kann sich auf sehr vielfältige Weise äußern. Erkennst du dich in einem oder mehreren der folgenden Muster?

  • Du meidest oft zu engen Körperkontakt, selbst in einer Beziehung
  • Du „gibst“ lieber, statt zu empfangen und dich daran zu erfreuen
  • Dein Liebesleben fokussiert sich eher auf eine rein sexuelle Ebene, „Kuscheln“ ist nicht deins
  • Man stempelt dich als „beziehungsunfähig“ ab
  • Du spürst nicht viel, wenn du berührt oder massiert wirst, oder du bist schnell abgelenkt

All das sind Indizien dafür, dass du nicht wirklich ins Spüren kommst. Selbst bei emotionaler Bedürftigkeit gilt: Möglicherweise leidest du nicht an zu wenig Kontakt. Sondern daran, dass du diesen – wenn du ihn denn hast – nicht in voller Tiefe erfassen kannst.

Mangel an Intimität

Es gibt unterschiedliche Stufen des Phänomens. Manche Menschen können Berührungen nur sehr oberflächlich genießen. Das führt oft dazu, dass sie im Körperkontakt nie wirklich zufrieden und „satt“ sind. Oder dass sie die Intimität gar gänzlich aufgeben. Andere haben tatsächlich Angst davor, sich berühren zu lassen. Eine derartige Kontaktphobie machen eine engere Beziehung oder eine erfüllte Sexualität fast unmöglich.

Die Ursachen solcher Schwierigkeiten sind vielfältig. Nicht immer müssen schlechte Erfahrungen oder gar ein Trauma dein Leben geprägt haben – denn dann liegt die Ursache der Kontaktangst nahe. Vielleicht hast du in deiner Kindheit und Jugend zu wenig Berührung erfahren. Oder die Nähe und das „Klammern“ waren dir gar zu viel. Manche erleben in ihrer Pubertät einen Umbruch, nach dem sie sich für das Genießen von Berührungen schämen. Und das ohne erkennbaren Grund.

Fremd im eigenen Körper

Auch ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich erwachsen wurde – und die Freiheit aufhörte. Ich lag immer sehr gerne im Schoß meiner einen älteren Schwester, und sie streichelte meinen Kopf. Eines Tages wurde ich unverhofft wütend und wandte mich brüsk ab. Aus dieser Handlung schrie es förmlich: „Hör auf! Dazu bin ich jetzt zu alt!“. Ich wurde vernünftig. Wie schade.

Bei mir selbst hat es fast 20 Jahre gedauert, bis ich mich wieder vollkommen an Berührungen von außen erfreuen konnte. Und das lag nicht nur an der mangelhaften Akzeptanz meines Körpers. Ich hatte es schlicht verlernt, wie ein Kind wahrzunehmen: Unvoreingenommen, spielerisch, absichts- und zeitlos. Du leidest an einer ausgeprägten Kontaktphobie oder spürst dich überhaupt nicht mehr? Dann solltest du dir auf jeden Fall psychotherapeutische Unterstützung suchen. Denn solche Verhaltensmuster sind komplex, du wirst sie nicht alleine lösen können.

Für alle anderen Fälle – oder begleitend zu einer Therapie: Nachfolgend einige Hinweise aus meiner eigenen Erfahrung. Sie haben mir dabei geholfen, Berührungen zu akzeptieren und bewusster wahrzunehmen.

Gruppen- und Körperarbeit

Ich haderte viele Jahre mit meinem Aussehen. Ursache war eine sogenannte körperdysmorphe Störung. Menschen, die darunter leiden, beschäftigen sich übermäßig oft mit ihrem Erscheinungsbild. Deswegen hatte ich als junger Erwachsener ein Problem mit zu viel Körperkontakt. Selbst in meinen Beziehungen gelang es mir nur schwer, den Kopf abzuschalten.

Die Wende kam mit einem sogenannten Jahrestraining, das ich vor einigen Jahren besuchte. Darin geht es um folgende Aspekte:

  • Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit
  • Das Aufarbeiten früherer Probleme und seelischer Verletzungen (die sogenannte Schattenarbeit)
  • Die Auseinandersetzung mit deinem Körperbild sowie den Themen „Mann-Sein“ und „Frau-Sein“
  • Stärkung des Selbstbewusstseins

Gerade Letzteres ist äußerst wichtig, um körperlichen Kontakt zulassen und voll spüren zu können. Bei Gruppen mit tantrischen Wurzeln, wie ich sie besuchte, kommt noch hinzu:

  • Die bewusstere Wahrnehmung der eigenen Sinne
  • Tieferes Verständnis deiner Sexualität
  • Unterschiedliche Berührungsqualitäten erfahren und erlernen

Es gibt solche Trainings rein für Männer und Frauen, aber auch in gemischten Gruppen. Ich entschied mich ganz bewusst für die gemischte Form. Der geschützte und moderierte Rahmen bot mir unzählige Gelegenheiten, mich langsam den Berührungen von anderen anzunähern. So lernte ich, was ich persönlich brauche, um mich möglichst tief fallenzulassen.

Wenn du dich für ein Jahrestraining oder körpertherapeutsiche Gruppenarbeit interessierst, dann achte unbedingt auf einen seriösen Anbieter. Für Männer habe ich in diesem Beitrag einige Hinweise zusammengefasst.

Hingabe ins Ungewisse

Im Rahmen dieser Trainings lernte ich die Tantra Massage kennen. Ich wusste sofort: Das ist „meins“. Also startete ich eine Ausbildung zum Tantra Masseur. Meine Fähigkeit, zurück ins bewusste Spüren zu kommen, profitierte davon enorm. Das Jahrestraining war die Vorarbeit, die Ausbildung löste die letzten Berührungs-Blockaden.

Ich erfuhr dabei, wie eng „berühren“ und „berührt werden“ zusammengehören. Und doch haben viele Männer und Frauen, die sich für einen gebenden Beruf entscheiden, ein Defizit: Sie tun sich schwer damit, zu empfangen. Oder anders formuliert: Sie haben ein Problem mit der eigenen Hingabe.

Für Menschen mit einem sehr analytischen Verstand bzw. Beruf ist das Loslassen meist ebenfalls ein Thema. Genauso wie Stress die Empfindungsfähigkeit killt. Spüren und Ekstase sind erst dann möglich, wenn deine Gedankenmaschinerie zur Ruhe kommt (dazu gleich noch ein paar Tipps). Und wenn du mit deinem Anspruch aufhörst, alles im Voraus zu planen. Perfektionismus und Sinnlichkeit vertragen sich nicht sonderlich gut..

Wenn du Berührungen besser annehmen und tiefer spüren willst: Diese Fähigkeit lässt sich trainieren. Du kannst dafür die Massage nutzen, oder ein sogenanntes Berührungscoaching. Beide Varianten verfeinern dein Körpergefühl. Gleichzeitig helfen sie dir dabei, präsenter im Augenblick zu sein.

Das Bewusstsein erweitern

Viele Menschen nehmen Berührungen – etwa innerhalb einer Beziehung – sehr wohl wahr. Diese kratzen allerdings an der Oberfläche. Du wünschst dir, den Körperkontakt tiefer zu verarbeiten, bewusster zu erleben? Dann ist es Zeit, an deiner Aufmerksamkeitsspanne und -Intensität zu arbeiten.

Ich schreibe in diesem Blog sehr viel über Achtsamkeit. Sie hilft dir dabei, den Fokus weg von deinen Gedanken zu lenken. Erst dann können die Körperempfindungen tatsächlich in deinem Bewusstsein ankommen. Es gibt unzählige kleine Übungen für ein achtsameres Leben:

  • Nimm bei einem Spaziergang 5 Minuten lang jeden einzelnen Schritt ganz bewusst wahr. Wie fühlt er sich wo in deinem Körper an?
  • Fokussiere dich 10 Minuten auf dein Ein- und Ausatmen. Beobachte jeden einzelnen Atemzug so genau wie möglich.
  • Spüre jeden einzelnen Strahl unter der Dusche, jeden Windhauch im Freien, nimm jede einzelne Blüte auf der Wiese wahr. Und wenn es anfangs nur für eine halbe Minute ist.
  • Schau dir morgens in der Bahn deine Umgebung genau an: Welchen Ausdruck haben die Menschen um dich herum? Wirken sie müde, glücklich, besorgt? Wer schenkt dir ein Lächeln?

Zu Beginn ist die Praxis der Achtsamkeit recht mühsam. Und man verliert sie sehr schnell wieder aus dem Fokus. Doch mit der Zeit stellt sie sich fast schon automatisch ein. Meditation, Yoga, Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training können dir dabei helfen, ins Hier und Jetzt zu kommen. Finde durch Ausprobieren die Methode, die dir am ehesten liegt. Mir persönlich haben die Bücher von Jon Kabat-Zinn und Jack Kornfield geholfen.

Ziellose Berührung

Innerhalb einer Partnerschaft kann es schnell passieren, dass Berührungen und Intimität automatisiert ablaufen. Kurz ein wenig da streicheln, dann diesen Knopf drücken. Schließlich feste in eine Richtung hinarbeiten und schon bin ich am Ziel. Das stumpft ab. Lies hierzu meine Beiträge Weg vom Programm, hin zur Lust und Vergiss den Orgasmus.

Nehmt euch gezielt und regelmäßig Zeit für absichtslose Berührungen. Schaltet die Handys aus, sorgt für einen ungestörten Raum, richtet diesen her. Entwickelt daraus ein kleines Liebes-Ritual. Es gibt drei Bedingung:

  • Keine Stimulation
  • Kein Sex
  • Keinen Höhepunkt

Stattdessen ganz viel Körperkontakt, Streicheln, Hinspüren, Nachspüren. Und dabei den ganzen Körper mit einbeziehen. Der vorläufige Verzicht auf Sex (im Sinne von „Geschlechtsverkehr“) ist ein Klassiker in jeder Paartherapie. Doch dieses Vorgehen unterstützt nicht nur eure Beziehung. Es führt dazu, dass du auch die feineren Berührungen wieder bemerkst.

Selbst ist der Mann & die Frau

Selbstbefriedigung ist toll. Egal ob du Single bist oder nicht. Vor allem dann, wenn du auch hierbei bewusst vorgehst – und kein Programm abspulst. Du vertiefst dein Spüren und lernst deinen Körper besser kennen, indem du dich regelmäßig selbst berührst. Und das Wichtigste: Eine erfüllte Sexualität zu zweit gelingt erst dann, wenn du dich auch alleine richtig spüren kannst.

Männer und Frauen sprechen nicht gerne über Selbstbefriedigung. Und doch ist sie ein zentraler Bestandteil unserer Sexualität. Ohne Ablenkung durch deinen Partner lernst du Empfindungen kennen, die dir bislang verborgen geblieben sind. In Schöner selbst berühren habe ich Tipps gesammelt, wie dein Solo-Sex intensiver wird. Der Beitrag richtet sich an Männer, doch viele Hinweise darin gelten auch für Frauen bzw. für alle sexuelle Identitäten.

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Bilder: Priscilla Preez, Tobias Zils, Emiliano Vittoriosi, Ian Dooley

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3 Kommentare

  1. Wunderbar! Ich spreche tatsächlich lieber von „Erlauben“. Im Wort „zulassen“ steckt für mich immer das “zu lassen“ und damit das Gegenteil von Hingabe und Öffnung. Für manchen vielleicht Wortklauberei, für mich ein feiner und so wesentlicher Unterschied – besonders kraftvoll auch beim Ausprechen und im Klang der Worte zu spüren.

    1. Danke für den Hinweis! Die meisten Menschen suchen bei Google in dem Kontext tatsächlich nach „zulassen“, aber du hast vollkommen Recht. Ich erlaube mir etwas, und ich gebe mich hin.

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