Erst kürzlich schrieb ich einen Beitrag zu den Mythen männlicher Sexualität. Im Bezug auf die weibliche Seite gibt es ebenso viele Fallstricke, in die wir gerne tappen. Wie kannst du langjährige Muster durchbrechen? Und warum hat es das weibliche Begehren so schwer, sich zu entfalten? 10 Fragen an Hanna Krohn. Als Gesundheitspraktikerin unterstützt sie Frauen darin, ihren Körper und ihre Sexualität kennenzulernen.

Hanna, welches sind deiner Ansicht nach die Vorurteile zur weiblichen Lust, die sich am hartnäckigsten halten? Und wie lassen sie sich auflösen?

Etwa die Annahme, weibliche Sexualität sei passiv, oder weibliche Sexualität sei bindungsorientiert. Ich finde die Frage nach den Vorurteilen zur weiblichen Lust jedoch schwierig. Menschen sind so unterschiedlich. Und wenn es um Sexualität geht, sind wir besonders schnell dabei, Äußerungen von „Experten“ so zu lesen, dass wir uns unzulänglich oder falsch fühlen.

Wenn ich etwas als Vorurteil bezeichne, dann fühlen sich Frauen, auf die vielleicht gerade das zutrifft, angegriffen, beurteilt oder eben „nicht richtig“. In meiner Arbeit vermeide ich alles, wo es um richtig oder falsch, gut oder schlecht geht. Die zentrale Frage ist immer, was die Frau möchte, was ihr Veränderungswunsch ist. Generell können wir Vorurteilen begegnen, indem wir gemeinsam neugierig und offen sind. Sich zuhören, sich mitteilen ist dabei wichtig.

Wie lassen sich langjährige Muster durchbrechen, die wir durch unsere sexuelle Sozialisation oder Pornos verinnerlicht haben?

Der erste Schritt besteht immer darin, sich bewusst zu machen: Das, was unsere sexuelle Realität gerade bestimmt, ist etwas (unbewusst) Erlerntes. Daher ist es auch nicht in Stein gemeißelt, sondern jederzeit formbar. Auf diese kognitive Erkenntnis sollten dann neue körperliche Erfahrungen folgen. Du kannst deinem Körper auf viele Weisen etwas Neues beibringen. Und so zum Beispiel als begrenzend empfundene Schamgefühle, Erregungsmodi und Anziehungscodes verändern.

Welche Rolle spielen deiner Ansicht nach Tinder & Co.? Ist das Spiel zwischen den Geschlechtern oberflächlicher geworden? Haben wir es verlernt, aufeinander zuzugehen?

Das klingt nach Kulturpessimismus. Ich denke, dass jede Zeit ihre besonderen Herausforderungen hat – und ihre besonderen Chancen. Es war noch nie so leicht, Menschen kennenzulernen. Was wir daraus machen, das liegt bei uns.

Du schreibst in deinem Blog: „Weibliches Begehren ist immer noch ein Tabu.“ Warum ist das so? Und was können wir alle dagegen tun?

Die Unterdrückung und Abwertung von weiblicher Sexualität hat eine lange Geschichte. Sie ist in weiten Teilen der Welt immer noch stark ausgeprägt. In diesem Kontext und mit diesen Vorzeichen hat es auch das weibliche Begehren schwer, sich zu entfalten. Frauen fällt es oft nicht einfach, Zugang zu diesem Gefühl zu bekommen, das ja nicht unbedingt identisch mit emotionalen Bedürfnissen und Beziehungswünschen ist.

Weibliche Lust

Und wenn sie diesem Begehren nachgehen, machen sie oft die Erfahrung, dass sie dafür abgewertet, beschämt oder sogar mit Repressionen oder Übergriffen konfrontiert werden. Ändern lässt sich das nur, indem wir neues Verhalten erproben, darüber kommunizieren und uns gegenseitig darin bestätigen. Mit jeder Frau und jedem Mann, die mutig und bewusst neue Wege beschreiten, ändern wir die Welt ein kleines Stück und öffnen neue Räume.

„Bin ich zu brav, interessiert sich Frau nicht für mich, oder lässt mich fallen. Bin ich zu forsch, gelte ich als Macho oder Schlimmeres.“ – dieser Spagat bewegt sehr viele Männer. Und lässt sie unsicher werden. Was denkst du, was denken Frauen darüber?

Wie ich als (heterosexuelle) Frau auf einen Mann reagiere, sagt mindestens genauso viel über mich, wie über diesen Mann. Die Frage ist also eher, warum du überhaupt eine Frau für dich interessieren solltest, die dich nicht genau so schätzt, wie du bist? Ich denke, es ist eine gute Strategie, die beste Version deiner Selbst zu werden. Und dich deinem Gegenüber möglichst authentisch zu zeigen. So werden echter Kontakt und echte Begegnung möglich.

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht: Umso dominanter aber auch rücksichtsloser ich mich verhalte, umso interessanter bin ich für viele Frauen. Wie kann das sein?

Auch hier finde ich die Frage wichtig, ob du überhaupt Interesse an einer Frau hast, die einen Mann interessant findet, der sich dominant und rücksichtslos verhält. Und möchtest du dieser Mann sein? Umgekehrt gibt es auch Männer, die sich vor allem für Frauen interessieren, die sich unterwürfig, hilflos und servil verhalten.

Ich kann eine Menge Thesen darüber aufstellen, warum das so ist. Letztlich steht für mich aber fest, dass ich so eine Frau nicht bin und auch nicht sein will. Und dass ich kein Interesse an Männern habe, die auf so ein Verhalten anspringen.

Wie macht Mann es denn nun richtig, wenn er männlich interessant und achtsam zugleich sein will?

Idealerweise ist er als Mensch interessant und achtsam. Dann ist er sehr wahrscheinlich auch für andere interessante und achtsame Menschen attraktiv.

Die Energie zwischen Mann und Frau ist spannend, aber es gibt ja noch weitere sexuelle Identitäten. Intimität ist zum Glück deutlich diverser. Das erhöht gleichzeitig die Anzahl potenzieller „Fettnäpfchen“. Was sind für dich die Grundpfeiler einer achtsamen Sexualität, die für alle gelten?

Ich finde Sprache sehr wichtig. Es lohnt sich, zu reflektieren, welche Wörter wir in diesem Kontext benutzen. Wir sollten offen darüber sprechen, welche Wirkung diese jeweils haben. Und Konsens ist für alle Arten von intimer Interaktion relevant, unabhängig von Geschlecht, Identität und Orientierung. Wenn wir uns selbstkritisch mit diesen beiden Aspekten befassen und uns entsprechend verhalten, dann kann nicht viel schief gehen.

Wie bist du zu Tantra und zur Tantra Massage gekommen?

Tja, das war eine der großen Überraschungen meines Lebens. Mit Mitte vierzig hatte ich eine fette Lebenskrise und den starken Wunsch, beruflich etwas zu machen, was mich wirklich erfüllt. Und plötzlich war ich mir ganz sicher, dass das nur als Sexualtherapeutin ginge. Ohne jede Vorbildung in diesem Bereich (ich bin studierte Politologin und Volkswirtin) gestaltete sich das allerdings schwierig. Und noch mal ein Studium beginnen wollte ich nicht.

Meine Recherchen ergaben, dass ein relativ schneller Einstieg in dieses Berufsfeld über eine Ausbildung in der Tantramassage führen würde. Und obwohl mir als Kopfmensch der ganze Bereich von Körperarbeit – und erst recht die Tantramassage – eher fremd und suspekt waren, fühlte ich mich dort (bei TantraConnection) auf Anhieb zu Hause.

Wie ging es danach weiter? Was hat dich inspiriert?

Besonders spannend fand ich die Erfahrungen im Kreis von Frauen. Und so führte mich mein Weg schon bald in die Perlentor-Ausbildung von Nhanga Grunow, dort lernte ich Frauenmassage und Sexualcoaching für Frauen. Danach fühlte ich mich ausreichend qualifiziert, um die Sexocorporel-Ausbildung zu beginnen. Sie stellt einen körperorientierten sexualtherapeutischen Ansatz dar. Seit Ende 2016 arbeite ich in meiner eigenen Praxis, dem Frauenraum, im weiten Feld der weiblichen Sexualität. Hinzugekommen sind weitere Aus- und Fortbildungen.

Derzeit bin ich in der Ausbildung zur Heilpraktikerin. Zu meiner Einzelarbeit sind verschiedene Veranstaltungsformate gekommen, etwa der Frauenkreis oder Workshops für Frauen, Männer und Paare. Ich ergänze diese durch Videos zur weiblichen Sexualität und durch mein Blog. Ein weiteres Projekt ist Splitterfasern: Darin veröffentlichen Frauen wie Männer Texte zu ihrer sexuellen Biografie.

Lieben Dank an Hanna für dieses Interview. Du hast Fragen zum Thema? Dann nutze gerne die Kommentarfunktion.

Bilder: Aaron Burden, Aleksander Fajtek

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